Stadtnatur & Insekten
Gärtnerisch gestaltete Naturelemente, Relikte ursprünglicher Natur bis hin zu neu entstandener Wildnis auf urban-industriellen Brachen – Stadtnatur ist vielfältig. Und Stadtnatur ist wichtig. Sie leistet einen wichtigen Beitrag zur Anpassung an den Klimawandel, sorgt für frische Luft und sauberes Wasser und bietet attraktive Räume für Erholung, Naturerfahrung und sozialen Austausch. Vor allem naturnahe Bereiche in privaten Gärten, öffentlichen Grünanlagen, Klein- und Gemeinschaftsgärten, Wäldern, auf Friedhöfen und Brachen, an Gewässern, Straßen und Wegen sind zudem Lebensraum für zahlreiche Tier- und Pflanzenarten. Es lohnt sich also Stadtnatur zu erhalten und zu entwickeln – für uns Menschen, aber auch, um dem anhaltenden Rückgang der biologischen Vielfalt wirksam zu begegnen.
Der Rückgang der biologischen Vielfalt schließt auch die Insekten mit ein. Aktuelle Studien zu mehreren Regionen in Deutschland belegen, dass die Biomasse und die Artenvielfalt der Insekten innerhalb der letzten Jahrzehnte stark zurückgegangen sind. Dieser Trend spiegelt sich auch in den Roten Listen wieder – so haben 44 % der etwa 7.500 bislang bewerteten Insektenarten negative Bestandstrends. Hierdurch ist die Nahrungsgrundlage für weitere Tiergruppen wie Vögel und Reptilien nicht mehr gewährleistet. Auch wir Menschen sind davon betroffen, beispielsweise wenn Nutzpflanzen nicht mehr bestäubt werden.
Mit dem „Masterplan Stadtnatur“ und dem „Aktionsprogramm Insektenschutz“ hat die Bundesregierung jüngst zwei wichtige Handlungsprogramme auf den Weg gebracht. Ihr gemeinsames Ziel ist es, die biologische Vielfalt zu schützen und zu fördern, indem beispielsweise innerstädtische Grünflächen aufgewertet, miteinander vernetzt und bewusst insektenfreundlich gestaltet werden. Eine erfolgreiche Umsetzung ist jedoch nur mit Hilfe der Kommunen möglich.
Erklärfilm "Naturstadt - Kommunen schaffen Vielfalt"
Die Handlungsmöglichkeiten für Kommuen, Stadtnatur zu fördern und Insekten zu schützen, reichen von der Anlage artenreicher Blühwiesen über die naturnahe Pflege von Grünflächen bis hin zu Umweltbildungsmaßnahmen und der Einbindung relevanter Akteure. Kurze Beschreibungen zu Praxisbeispielen finden Sie hier.
Den Erklärfilm und weitere Videos finden Sie auch auf unserem YouTube-Kanal.
Masterplan Stadtnatur
Der 2019 veröffentliche „Masterplan Stadtnatur“ ist ein Handlungsprogramm der Bundesregierung für eine lebendige Stadt. Dieses zielt auf den Schutz und die Entwicklung der biologischen Vielfalt in unseren Städten ab und unterstützt die Kommunen dabei, natürliche Lebensräume zu schaffen und damit die Vielfalt an heimischen Tier- und Pflanzenarten in den Städten und Gemeinden zu fördern. Das Programm führt ein ganzes Bündel an Maßnahmen zur Verbesserung der Naturausstattung in Städten und Gemeinden auf und umfasst neben rechtlichen Anpassungen auch innovative Formate der Öffentlichkeitsarbeit sowie Arbeitshilfen für die Akteure vor Ort. Die Flächen in der Stadt sollen nach Möglichkeit multifunktional genutzt werden. Deshalb geht der Masterplan im Sinne der „Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt“ über den engen Arten- und Biotopschutz hinaus und leistet zusätzlich einen Beitrag zur Umsetzung der „EU-Strategie zur grünen Infrastruktur“ und der „Deutschen Anpassungsstrategie an die Folgen des Klimawandels“.
Aktionsprogramm Insektenschutz
Die Bundesregierung hat 2019 das „Aktionsprogramm Insektenschutz“ beschlossen. Das Programm soll die Lebensbedingungen für Insekten verbessern und dem Insektenrückgang entgegenwirken. Durch den Schutz der Insekten und die Wiederherstellung ihrer Lebensräume in Agrarlandschaften, Schutzgebieten und Städten, sollen sich der Lebensraum für Insekten vergrößern und die Bedingungen für die Insekten verbessern. Hierzu ist besonders die Vernetzung der einzelnen Lebensräume von großer Bedeutung. Des Weiteren sieht das Aktionsprogramm vor, die Einträge von Nähr- und Schadstoffen in Böden und Gewässer zu reduzieren und den Einsatz von Pestiziden zu mindern. Ebenso soll die Lichtverschmutzung reduziert und eine Umstellung auf insektenfreundliches Licht gefördert werden; viele nachtaktive Insekten werden von künstlichen Lichtquellen angelockt und verenden dort oder werden Opfer von Fressfeinden. Um ein einheitliches Monitoring der Insektenbestände zu ermöglichen, sollen Forschung vertieft, Wissen vermehrt und Lücken geschlossen werden. Durch finanzielle Anreize und gezielte Informationsvermittlung sollen das Engagement in der Bevölkerung gefördert und deutlich mehr Projekte zum Schutz von Insekten umgesetzt werden.
Innerstädtische Grünflächen fördern die Artenvielfalt. Naturnahe Grün- und Freiflächen stellen für viele Pflanzen und Tiere wichtige Ersatzlebensräume dar. Die ursprünglichen Habitate sind in der meist ausgeräumten Agrarlandschaft selten geworden. Naturnahe Bereiche sind vor allem auf älteren Friedhöfen, in Parkanlagen, in städtischen Wäldern, Fließgewässerauen aber auch auf Brachflächen zu finden. Häufig sind wertvolle Lebensräume durch Versiegelung und weitere innerstädtische Bebauung bedroht. Es ist daher wichtig, auf möglichst vielen Grün- und Freiflächen die Artenvielfalt durch geeignete Pflegemaßnahmen (z. B. angepasste Mahd, Verwendung geeigneten Saatguts) zu erhöhen.
Urbane Grünflächen vernetzten Lebensräume. Urbane Grünflächen sind für die Vernetzung der innerstädtischen Lebensräume mit der umgebenden Landschaft von besonderer Bedeutung, bspw. als Lebensraumkorridore für wandernde Tierarten.
Innerstädtische Grünflächen steigern die Lebensqualität. Eine vielfältige Stadtnatur bietet der Bevölkerung zahlreiche Vorteile. Zu diesen sogenannten Ökosystemleistungen zählen ein gutes Klima und saubere Luft ebenso wie Raum für Erholung und Naturerfahrung. So sind Alleen oder mit Bäumen bepflanzte Straßenzüge nicht nur wertvolle urbane Habitate (beispielsweise für Insekten), sondern spenden auch Schatten und wirken der Erwärmung von Städten entgegen. Parks, offene Grünflächen und Stadtwälder fungieren als Kalt- und Frischluftentstehungsgebiete und sorgen für eine verbesserte Luftqualität in urbanen Gebieten.
Vielfältiges Grün macht Städte attraktiv und lebenswert. Hier können Menschen direkt erleben, wie sich die Stadtnatur mit ihrer biologischen Vielfalt positiv auf das Wohlbefinden auswirkt. Urbane Grünflächen dienen dabei dem Naturerlebnis und stellen besonders für Kinder wichtige Erfahrungsräume dar. Eine vielfältige Stadtnatur trägt damit auch wesentlich zur Umweltbildung bei.
Insekten sichern Nahrung. Insekten spielen eine wichtige Rolle bei der Bestäubung eines Großteils der heimischen Nutz- und Wildpflanzen. Bei vielen unserer Nutzpflanzen hängt die Ertragsleistung teils beträchtlich von Tierbestäubung ab (bspw. bei Äpfeln, Kirschen, Birnen zu etwa 50%). Global schätzt man den Wert der Produkte, die von Bestäubungsleistungen durch Insekten abhängen, auf 200 bis 500 Milliarden Euro.
Insekten erhalten die Bodenfruchtbarkeit. Eine weitere wichtige Aufgabe von Insekten in unseren Ökosystemen ist die Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit durch den Abbau von organischem Material und die Durchlüftung des Bodens.
Insekten als Vorbilder. Neben schillernden Faltern faszinieren auch andere Insekten. Heuschrecken legen beim Springen ein Vielfaches ihrer Körpergröße zurück und eine Libelle kann seitwärts und sogar rückwärts fliegen. Nicht nur naturliebende Menschen können sich für Insekten begeistern, sondern auch die Wissenschaft. Insekten können Vorbild für zahlreiche technische Entwicklungen sein (Bionik). So lassen sich beispielsweise Ingenieure beim Bau von Robotern vom sechsbeinigen Gang der Insekten inspirieren. Die Entwicklung moderner Wärmesensoren zur Früherkennung von Bränden fußt auf der Beobachtung feuerliebender Insekten wie dem Schwarzen Kiefernprachtkäfer. Stabile, aber gleichzeitig leichte Konstruktionen werden nach den Deckflügeln von Käfern konstruiert und die Antibiotika-Produktion von Schaben ist besonders für die Medizin interessant.
Hallmann, C.A., Sorg, M., Jongejans, E., Siepel, H., Hofland, N., Schwan, H. et al. (2017): More than 75 percent decline over 27 years in total flying insect biomass in protected areas. – PloS ONE 12 (10): e0185809.
Heinrich-Böll-Stiftung, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland & Le Monde Diplomatique (Hrsg.) (2020): Insektenatlas 2020. Daten und Fakten über Nütz- und Schädlinge in der Landwirtschaft. – Online, URL: https://www.boell.de/sites/default/files/2020-01/WEB_insektenatlas_2020.pdf?dimension1=ds_insektenatlas
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Kowarik, I., Bartz, R. & Brenck, M. (Hrsg.) (2016): Ökosystemleistungen in der Stadt – Gesundheit schützen und Lebensqualität erhöhen. Technische Universität Berlin, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ. Berlin, Leipzig. – Online, URL: https://www.ufz.de/export/data/global/190508_TEEB_DE_Stadtbericht_Langfassung.pdf
Kowarik, I., Bartz, R. & Fischer, L.K. (Hrsg.) (2016): Stadtgrün pflegen, Ökosystemleistungen stärken, Wildnis wagen! – Informationen zur Raumentwicklung 6.2016: 741-748.
Seibold, S., Gossner, M.M., Simons, N.K. et al. (2019): Arthropod decline in grasslands and forests is associated with landscape-level drivers. – Nature 574: 671-674. https://doi.org/10.1038/s41586-019-1684-3